Die Mär der braven Buben
Die NEUE SÜDTIROLER TAGESZEITUNG über das Buch „Die Puschtra Buibm” (2013)
Die Geschichte der „Puschtra Buibm“ ist eines der mythisch verklärten und gewaltsamsten Kapitel der Südtiroler Geschichte. Die Aktionen der „Puschtra Buibm“ wurden fast liebevoll verharmlost. Jetzt entzaubert ausgerechnet einer der Protagonisten diesen Mythos: Siegfried Steger.
Es schwingt der Stolz des Guerillero mit, wenn Siegfried Steger schreibt: „Das Tauferer Ahrntal glich einem Heerlager. Laut Medienberichten fahndeten 25.000 Bewaffnete nach uns. Wir bewegten uns teilweise inmitten dieses riesigen Aufgebots, sprengten vor ihrer Nase Masten in die Luft, bewegten uns von einem Ort zum anderen und beobachteten, wie sie fast zum Greifen nahe an uns vorbeigingen (…). Wären wir gnadenlose Terroristen gewesen, hätten wie viele dieser Soldaten aus dem Hinterhalt erschießen können.“ Siegfried Steger, Jahrgang 1939, ist eine der schillernden Figuren der Südtiroler Bombenjahre. Mit seiner Kampfgruppe, den „Puschtra Buibm“, führte er von 1961 bis 1967 einen Guerillakampf. Die Geschichte der „Puschtra Buibm“ ist eines der aufregendsten, aber auch eines der gewaltsamsten Kapitel der Südtiroler Geschichte – und eines der mythisch verklärten. Den „Puschtra Buibm“ haftete seit jeher die Aura der „braven Buben“ an, ihre Aktivitäten wurden fast liebevoll verharmlost und verniedlicht.
Hie die braven Buibm, dort der böse Staat Italien. Diesen Mythos der Pfadfinder mit Stöpselgewehr, der Ministranten im Dienste Tirols, entzaubert nun nicht irgendein Historiker, sondern einer der Protagonisten: Siegfried Steger. Siegfried Stegers Biografie „Die Puschtra Buibm – Flucht ohne Heimkehr“ ist jetzt erschienen. „Es ist eine historische Bombe“, sagt Hans Karl Peterlini, der Herausgeber. Siegfried Steger legt erstmals eine authentische Gesamterzählung jener Anschläge und bewaffneten Überfälle vor, mit denen zwischen 1961 und 1967 eine Gruppe junger Burschen und Männer ihr Heimattal und die umliegende Gegend zum Schauplatz eines bedingungslosen Guerillakampfes machte.“ Zwar verwendet Siegfried Steger den Begriff „Terrorismus“ nicht, aber er bekennt sich zur Guerilla, zum „Jagdkampf“. Er definiert sich als Soldat, der im Krieg war. „Wenn es keinen Staat gibt, der den Krieg legitimiert, dann ist dies Terrorismus“, so ordnet Hans Karl Peterlini die Erzählungen Siegfried Stegers historisch ein.
Eine „Bombe“ in dem Buch: Siegfried Steger gesteht, dass er den Sprengstoff für die Anschläge auf das Siegesdenkmal in Bozen (1978) und auf den Kapuziner-Waschtl (1979) geliefert hat.
Siegfried Steger offenbart Spektakuläres: Er legt erstmals eine atemberaubende Detailerzählung darüber vor, wie er und seine „Puschtra Buibm“ die Anschläge geplant und ausgeführt, wie sie ihre Aktionen finanziert haben. Er grenzt sich von den deutschnationalen Kreisen ab, und er erzählt erstmals die Einzelheiten zu dem Sprengstoffanschlag auf die Carabinieri-Kaserne in Sand in Taufers, bei dem die „Puschtra Buibm“ beinahe ein Blutbad angerichtet und die eigenen Leute in die Luft gejagt hätten (siehe dazu den eigenen Kasten). Siegfried Steger legt in dem Buch Dokumente vor, die belegen, dass beispielsweise die bayerische CSU die Schutzmachtfunktion für Südtirol übernehmen wollte (weil die Österreicher ihre Aufgabe „nur ungenügend“ erledigt hätten). Eine weitere „Bombe“: Siegfried Steger gesteht, dass er auch noch nach 1967 aktiv war – er hat den Sprengstoff für die Anschläge auf das Siegesdenkmal in Bozen (1978) und auf den Kapuziner-Waschtl (1979) geliefert. „Dies kann als Rückfall gewertet werden“, schreibt Hans Karl Peterlini im Vorwort des Buches. Siegfried Steger schildert die Anschläge der „Puschtra Buibm“ ohne Verschleierung, sie waren ab einem gewissen Moment nicht auf die Schonung von Menschleben abgestimmt. Steger berichtet von einem Gespräch mit Jörg Klotz. Das Ergebnis: Man beschloss, eine härtere Gangart einzulegen, sprich: den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen. Die Enthüllungen von Siegfried Steger sind deswegen glaubwürdig, weil er selbst die Beschönigung und Verniedlichung aufhebt und sich – auch dies eine Premiere – erstmals dagegen wehrt, dass all die Attentate, bei denen es Tote gegeben hat, den Geheimdiensten oder anderen finsteren Kräften in die Schuhe geschoben werden.
Herausgeber Hans Karl Peterlini schreibt in seinem Vorwort: „Mit dieser Lebensgeschichte offenbart Siegfried Steger nicht alles, aber alles, was er offenbaren kann.“ Sprich: Siegfried Steger lässt jene Fragen offen, in denen er andere belasten müsste. Auffallend ist beispielsweise die knappe und distanzierte Darstellung der tödlichen Schüsse in Sexten und Gsies. In Sexten war es am 26. August 1965 zu einem Feuerüberfall auf die Carabinieri- Kaserne gekommen, zwei Carabinieri wurden getötet, zwei weitere konnten sich in Sicherheit bringen. Laut Augenzeugenberichten wurden die Schüsse von vier oder fünf Männern in Tarnanzügen verübt, die sich nach dem Überfall über den Helm nach Sillian im Pustertal zurückzogen. Am 24. Juli 1966 wurde in Sankt Martin im Gsieser-Tal kurz nach Mitternacht aus Schnellfeuerwaffen auf drei italienische Finanzsoldaten geschossen. Einer der Finanzer wurde tödlich getroffen, ein zweiter verstarb am 1. August an den schweren Verletzungen.
Carabinieri-Kaserne, zwei Carabinieri wurden getötet, zwei weitere konnten sich in Sicherheit bringen. Es waren dies Anschläge in Orten, wohin die „Puschtra Buibm“ ihr Einsatzgebiet ausgedehnt hatten. Siegfried Steger gibt zu: Ja, wir waren dort. Hans Karl Peterlini dazu: „Hier spricht das Unausgesprochene: Steger übernimmt keine Verantwortung, er schiebt sie aber auch nicht ab.“ Aber Siegfried Steger enthüllt erstmals, dass die vier „Puschtra Buibm“ mitunter auch zu fünft aufgetreten seien, und dass es noch Untergruppen gegeben habe. Es gibt für die Bluttaten keine neue Übernahme persönlicher Verantwortung. „Wohl“, so glaubt Hans Karl Peterlini, „weil Steger dies teilweise nicht könnte, weil er es vielleicht für andere tun müsste.“ Wohltuend sei allerdings, so Hans Karl Peterlini, dass sich Siegfried Steger erstmals von den üblen Feme-Mord-Gerüchten distanziere, wonach die italienischen Soldaten von blutrünstigen Verwandten oder eifersüchtigen Liebhabern aus dem Süden umgebracht wurden. „Es ist auch eine indirekte Distanzierung vom Versuch, alle Blutbäder – einschließlich jenem auf der Porze-Scharte, zu geheimdienstlichen Komplotten zu machen“, so Hans Karl Peterlini.
Hans Karl Peterlini hält Stegers Buch für ein „wichtiges Dokument zum Verständnis der Südtiroler Geschichte und eines ihrer aufregendsten, mythisch verklärten, gewaltsamen und leidvollen Kapitel“. Siegfried Steger hat mit seinem Buch ein Tabu gebrochen. Wohl deswegen gab es im Vorfeld der Veröffentlichung des Buches Klagedrohungen in Millionen-Höhe. Der Mythos der braven Buben sollte nicht entzaubert werden.
Die Bombe im Kamin
Im August 1963 sprengten die „Puschtra Buibm“ die Carabinieri-Kaserne in Sand in Taufers in die Luft – nicht ahnend, dass eigene Leute in der Kaserne verhört wurden. Auszug aus dem Buch.
„Es war (…) unsere erste Aktion zu viert, zusammen mit Heinrich Oberleiter. Am 3. August 1963 erreichten wir den Bunker beim „Kofler zwischen Wänden“, wo wir die Sprengladung für die Kaserne in Sand vorbereiteten. Dann bewegten wir uns vorsichtig, wir wurden ja intensiv gesucht, hinunter ins Tal. Zwischen Bad Winkel und St. Moritzen kam uns ein Rohbau sehr gelegen. Im Schein einer Taschenlampe konnten wir im Keller dieses Rohbaus die Ladung scharf machen und stellten nach unserem Zeitkalkül die Zündung auf 6 Uhr ein. Wir waren bei diesen Vorbereitungen immer sehr genau, so gibt man die Sprengkapsel erst dann in den Glühzünder, wenn dieser bereits vorher an der Uhr befestigt worden ist, sonst würde bei defektem Zeitzünder die Ladung sofort explodieren. In diesem Fall war der Zeitzünder tatsächlich defekt.
Hätten wir die Vorsichtsmaßnahme nicht befolgt, hätte man von uns in den Trümmern des Rohbaus nur mehr ein paar Fetzen gefunden. Wir machten die Ladung an einer anderen Uhr scharf, die nicht defekt war, packten sie in den Rucksack und pirschten uns, mit einer mitgebrachten Leiter, an die Rückseite der Kaserne heran, die Frontseite war hell beleuchtet. Es war schon nach Mitternacht. Wir warteten eine Weile, bis wir sicher sein konnten, dass es drinnen ruhig war und kein Licht in den Räumen brannte. Mit einer Schnellfeuerwaffe brachte ich mich einige Meter vor der Vorderfront zwischen Sträuchern in Stellung, ich hatte die Aufgabe, mit einem Käuzchen-Ruf zu warnen, sobald sich in der Kaserne etwas rührte, und zu verhindern, dass Carabinieri ins Freie gelangen. Das hätte bedeutet, den Eingang unter Beschuss zu nehmen. Wer die anderen Aufgaben übernahm, kann ich gar nicht mehr genau sagen, es mag kurios klingen, aber meine Kameraden wurden sich später nie mehr einig, wer nun wirklich aufs Dach gestiegen war.
Zwei von ihnen stiegen jedenfalls aufs Dach, um die scharf gemachte Ladung durch den Kamin hinunter zu lassen, der Dritte blieb bei der Leiter stehen, um im Falle einer eiligen Flucht diese festzuhalten. Die Ladung wurde mit einer Schnur durch den Kamin hinuntergelassen, meine Kameraden bemerkten aber, dass sie irgendwo hängen blieb. Auch der Versuch, sie wieder heraufzuziehen und neu hinunterzulassen, brachte nichts. So ließ man sie dort hängen, wo sie nicht mehr weiterging, vermutlich in einer Krümmung oder Engstelle im Kamin. Da bemerkte ich, dass in mehreren Räumen plötzlich Lichter angingen und machte den vereinbarten Käuzchen-Ruf. Nach einer kurzen, gespenstischen Stille legte sich der Rauch. Sirenengeheul ertönte, quietschende Reifen, Schreie, Flüche, Blaulichter blitzten auf, Panzerspähwagen kamen angefahren – ein hektisches Durcheinander rund um die Kaserne war zu sehen. (…) Wir konnten nichts tun, nur zuschauen. Erst als es Nacht wurde, schlichen wir zum Bunker beim „Kofler zwischen Wänden“. Wir nahmen eine Speckjause ein und tranken eine Flasche Rotwein. Siegesstimmung wollte keine aufkommen, zu groß war unsere Sorge um die Festgenommenen.
Wir wussten ja nicht, wer und wie viele zum Verhör mitgenommen worden waren. Am nächsten Tag hörten wir im Radio, dass Franz Ebner und Sepp Laner beim Verhör in der Kaserne durch die Explosion schwer verletzt worden waren. Wir wurden bleich: Franz Ebner war mein Kamerad aus der ersten Zeit der Attentate, mit ihm hatte ich den Mast in der Feuernacht gesprengt. Er hatte auch diesmal genauestens von unserem Plan gewusst, auch dass die Ladung um 6 Uhr früh explodieren würde. Trotzdem saß er, wie wir später bestätigt bekamen, seelenruhig neben dem Kamin, wo Brigadier Belpassi ihn verhörte. Dieser bemerkte nichts. Wäre die Ladung nicht im oberen Stockwerk hängen geblieben, hätte es Franz Ebner und Sepp Laner mit all den anderen Anwesenden zerrissen. (…) Zum Glück hatte es die Panne mit dem Kamin gegeben…“
Die Puschtra Buibm
edition AROB
In diesem Buch schildert Siegfried Steger den Kampf der „Puschtra Buibm“ gegen den Staat Italien, schonungslos und ohne Beschönigung, eine atemberaubende Geschichte, die sich wie ein Roman liest, aber Wirklichkeit ist: von 1961 bis 1967 hält die Kampfgruppe ihren Guerillakampf durch, kann sich trotz Rasterfahndungen und militärischem Großaufgebot immer wieder der Verhaftung entziehen, versteckt sich über Wochen in Erd- und Felsbunkern, schlägt wieder zu und flieht zurück über die Berge.
Mit einem Vorwort von Hans Karl Peterlini.
ISBN 978-88-88396-16-3
274 Seiten
Preis Italien: Euro 26,90
Preis Ausland (D-A-CH): Euro 27,90
Die Mär der braven Buben
Die NEUE SÜDTIROLER TAGESZEITUNG über das Buch „Die Puschtra Buibm” (2013)
Die Geschichte der „Puschtra Buibm“ ist eines der mythisch verklärten und gewaltsamsten Kapitel der Südtiroler Geschichte. Die Aktionen der „Puschtra Buibm“ wurden fast liebevoll verharmlost. Jetzt entzaubert ausgerechnet einer der Protagonisten diesen Mythos: Siegfried Steger.
Es schwingt der Stolz des Guerillero mit, wenn Siegfried Steger schreibt: „Das Tauferer Ahrntal glich einem Heerlager. Laut Medienberichten fahndeten 25.000 Bewaffnete nach uns. Wir bewegten uns teilweise inmitten dieses riesigen Aufgebots, sprengten vor ihrer Nase Masten in die Luft, bewegten uns von einem Ort zum anderen und beobachteten, wie sie fast zum Greifen nahe an uns vorbeigingen (…). Wären wir gnadenlose Terroristen gewesen, hätten wie viele dieser Soldaten aus dem Hinterhalt erschießen können.“ Siegfried Steger, Jahrgang 1939, ist eine der schillernden Figuren der Südtiroler Bombenjahre. Mit seiner Kampfgruppe, den „Puschtra Buibm“, führte er von 1961 bis 1967 einen Guerillakampf. Die Geschichte der „Puschtra Buibm“ ist eines der aufregendsten, aber auch eines der gewaltsamsten Kapitel der Südtiroler Geschichte – und eines der mythisch verklärten. Den „Puschtra Buibm“ haftete seit jeher die Aura der „braven Buben“ an, ihre Aktivitäten wurden fast liebevoll verharmlost und verniedlicht.
Hie die braven Buibm, dort der böse Staat Italien. Diesen Mythos der Pfadfinder mit Stöpselgewehr, der Ministranten im Dienste Tirols, entzaubert nun nicht irgendein Historiker, sondern einer der Protagonisten: Siegfried Steger. Siegfried Stegers Biografie „Die Puschtra Buibm – Flucht ohne Heimkehr“ ist jetzt erschienen. „Es ist eine historische Bombe“, sagt Hans Karl Peterlini, der Herausgeber. Siegfried Steger legt erstmals eine authentische Gesamterzählung jener Anschläge und bewaffneten Überfälle vor, mit denen zwischen 1961 und 1967 eine Gruppe junger Burschen und Männer ihr Heimattal und die umliegende Gegend zum Schauplatz eines bedingungslosen Guerillakampfes machte.“ Zwar verwendet Siegfried Steger den Begriff „Terrorismus“ nicht, aber er bekennt sich zur Guerilla, zum „Jagdkampf“. Er definiert sich als Soldat, der im Krieg war. „Wenn es keinen Staat gibt, der den Krieg legitimiert, dann ist dies Terrorismus“, so ordnet Hans Karl Peterlini die Erzählungen Siegfried Stegers historisch ein.
Eine „Bombe“ in dem Buch: Siegfried Steger gesteht, dass er den Sprengstoff für die Anschläge auf das Siegesdenkmal in Bozen (1978) und auf den Kapuziner-Waschtl (1979) geliefert hat.
Siegfried Steger offenbart Spektakuläres: Er legt erstmals eine atemberaubende Detailerzählung darüber vor, wie er und seine „Puschtra Buibm“ die Anschläge geplant und ausgeführt, wie sie ihre Aktionen finanziert haben. Er grenzt sich von den deutschnationalen Kreisen ab, und er erzählt erstmals die Einzelheiten zu dem Sprengstoffanschlag auf die Carabinieri-Kaserne in Sand in Taufers, bei dem die „Puschtra Buibm“ beinahe ein Blutbad angerichtet und die eigenen Leute in die Luft gejagt hätten (siehe dazu den eigenen Kasten). Siegfried Steger legt in dem Buch Dokumente vor, die belegen, dass beispielsweise die bayerische CSU die Schutzmachtfunktion für Südtirol übernehmen wollte (weil die Österreicher ihre Aufgabe „nur ungenügend“ erledigt hätten). Eine weitere „Bombe“: Siegfried Steger gesteht, dass er auch noch nach 1967 aktiv war – er hat den Sprengstoff für die Anschläge auf das Siegesdenkmal in Bozen (1978) und auf den Kapuziner-Waschtl (1979) geliefert. „Dies kann als Rückfall gewertet werden“, schreibt Hans Karl Peterlini im Vorwort des Buches. Siegfried Steger schildert die Anschläge der „Puschtra Buibm“ ohne Verschleierung, sie waren ab einem gewissen Moment nicht auf die Schonung von Menschleben abgestimmt. Steger berichtet von einem Gespräch mit Jörg Klotz. Das Ergebnis: Man beschloss, eine härtere Gangart einzulegen, sprich: den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen. Die Enthüllungen von Siegfried Steger sind deswegen glaubwürdig, weil er selbst die Beschönigung und Verniedlichung aufhebt und sich – auch dies eine Premiere – erstmals dagegen wehrt, dass all die Attentate, bei denen es Tote gegeben hat, den Geheimdiensten oder anderen finsteren Kräften in die Schuhe geschoben werden.
Herausgeber Hans Karl Peterlini schreibt in seinem Vorwort: „Mit dieser Lebensgeschichte offenbart Siegfried Steger nicht alles, aber alles, was er offenbaren kann.“ Sprich: Siegfried Steger lässt jene Fragen offen, in denen er andere belasten müsste. Auffallend ist beispielsweise die knappe und distanzierte Darstellung der tödlichen Schüsse in Sexten und Gsies. In Sexten war es am 26. August 1965 zu einem Feuerüberfall auf die Carabinieri- Kaserne gekommen, zwei Carabinieri wurden getötet, zwei weitere konnten sich in Sicherheit bringen. Laut Augenzeugenberichten wurden die Schüsse von vier oder fünf Männern in Tarnanzügen verübt, die sich nach dem Überfall über den Helm nach Sillian im Pustertal zurückzogen. Am 24. Juli 1966 wurde in Sankt Martin im Gsieser-Tal kurz nach Mitternacht aus Schnellfeuerwaffen auf drei italienische Finanzsoldaten geschossen. Einer der Finanzer wurde tödlich getroffen, ein zweiter verstarb am 1. August an den schweren Verletzungen.
Carabinieri-Kaserne, zwei Carabinieri wurden getötet, zwei weitere konnten sich in Sicherheit bringen. Es waren dies Anschläge in Orten, wohin die „Puschtra Buibm“ ihr Einsatzgebiet ausgedehnt hatten. Siegfried Steger gibt zu: Ja, wir waren dort. Hans Karl Peterlini dazu: „Hier spricht das Unausgesprochene: Steger übernimmt keine Verantwortung, er schiebt sie aber auch nicht ab.“ Aber Siegfried Steger enthüllt erstmals, dass die vier „Puschtra Buibm“ mitunter auch zu fünft aufgetreten seien, und dass es noch Untergruppen gegeben habe. Es gibt für die Bluttaten keine neue Übernahme persönlicher Verantwortung. „Wohl“, so glaubt Hans Karl Peterlini, „weil Steger dies teilweise nicht könnte, weil er es vielleicht für andere tun müsste.“ Wohltuend sei allerdings, so Hans Karl Peterlini, dass sich Siegfried Steger erstmals von den üblen Feme-Mord-Gerüchten distanziere, wonach die italienischen Soldaten von blutrünstigen Verwandten oder eifersüchtigen Liebhabern aus dem Süden umgebracht wurden. „Es ist auch eine indirekte Distanzierung vom Versuch, alle Blutbäder – einschließlich jenem auf der Porze-Scharte, zu geheimdienstlichen Komplotten zu machen“, so Hans Karl Peterlini.
Hans Karl Peterlini hält Stegers Buch für ein „wichtiges Dokument zum Verständnis der Südtiroler Geschichte und eines ihrer aufregendsten, mythisch verklärten, gewaltsamen und leidvollen Kapitel“. Siegfried Steger hat mit seinem Buch ein Tabu gebrochen. Wohl deswegen gab es im Vorfeld der Veröffentlichung des Buches Klagedrohungen in Millionen-Höhe. Der Mythos der braven Buben sollte nicht entzaubert werden.
Die Bombe im Kamin
Im August 1963 sprengten die „Puschtra Buibm“ die Carabinieri-Kaserne in Sand in Taufers in die Luft – nicht ahnend, dass eigene Leute in der Kaserne verhört wurden. Auszug aus dem Buch.
„Es war (…) unsere erste Aktion zu viert, zusammen mit Heinrich Oberleiter. Am 3. August 1963 erreichten wir den Bunker beim „Kofler zwischen Wänden“, wo wir die Sprengladung für die Kaserne in Sand vorbereiteten. Dann bewegten wir uns vorsichtig, wir wurden ja intensiv gesucht, hinunter ins Tal. Zwischen Bad Winkel und St. Moritzen kam uns ein Rohbau sehr gelegen. Im Schein einer Taschenlampe konnten wir im Keller dieses Rohbaus die Ladung scharf machen und stellten nach unserem Zeitkalkül die Zündung auf 6 Uhr ein. Wir waren bei diesen Vorbereitungen immer sehr genau, so gibt man die Sprengkapsel erst dann in den Glühzünder, wenn dieser bereits vorher an der Uhr befestigt worden ist, sonst würde bei defektem Zeitzünder die Ladung sofort explodieren. In diesem Fall war der Zeitzünder tatsächlich defekt.
Hätten wir die Vorsichtsmaßnahme nicht befolgt, hätte man von uns in den Trümmern des Rohbaus nur mehr ein paar Fetzen gefunden. Wir machten die Ladung an einer anderen Uhr scharf, die nicht defekt war, packten sie in den Rucksack und pirschten uns, mit einer mitgebrachten Leiter, an die Rückseite der Kaserne heran, die Frontseite war hell beleuchtet. Es war schon nach Mitternacht. Wir warteten eine Weile, bis wir sicher sein konnten, dass es drinnen ruhig war und kein Licht in den Räumen brannte. Mit einer Schnellfeuerwaffe brachte ich mich einige Meter vor der Vorderfront zwischen Sträuchern in Stellung, ich hatte die Aufgabe, mit einem Käuzchen-Ruf zu warnen, sobald sich in der Kaserne etwas rührte, und zu verhindern, dass Carabinieri ins Freie gelangen. Das hätte bedeutet, den Eingang unter Beschuss zu nehmen. Wer die anderen Aufgaben übernahm, kann ich gar nicht mehr genau sagen, es mag kurios klingen, aber meine Kameraden wurden sich später nie mehr einig, wer nun wirklich aufs Dach gestiegen war.
Zwei von ihnen stiegen jedenfalls aufs Dach, um die scharf gemachte Ladung durch den Kamin hinunter zu lassen, der Dritte blieb bei der Leiter stehen, um im Falle einer eiligen Flucht diese festzuhalten. Die Ladung wurde mit einer Schnur durch den Kamin hinuntergelassen, meine Kameraden bemerkten aber, dass sie irgendwo hängen blieb. Auch der Versuch, sie wieder heraufzuziehen und neu hinunterzulassen, brachte nichts. So ließ man sie dort hängen, wo sie nicht mehr weiterging, vermutlich in einer Krümmung oder Engstelle im Kamin. Da bemerkte ich, dass in mehreren Räumen plötzlich Lichter angingen und machte den vereinbarten Käuzchen-Ruf. Nach einer kurzen, gespenstischen Stille legte sich der Rauch. Sirenengeheul ertönte, quietschende Reifen, Schreie, Flüche, Blaulichter blitzten auf, Panzerspähwagen kamen angefahren – ein hektisches Durcheinander rund um die Kaserne war zu sehen. (…) Wir konnten nichts tun, nur zuschauen. Erst als es Nacht wurde, schlichen wir zum Bunker beim „Kofler zwischen Wänden“. Wir nahmen eine Speckjause ein und tranken eine Flasche Rotwein. Siegesstimmung wollte keine aufkommen, zu groß war unsere Sorge um die Festgenommenen.
Wir wussten ja nicht, wer und wie viele zum Verhör mitgenommen worden waren. Am nächsten Tag hörten wir im Radio, dass Franz Ebner und Sepp Laner beim Verhör in der Kaserne durch die Explosion schwer verletzt worden waren. Wir wurden bleich: Franz Ebner war mein Kamerad aus der ersten Zeit der Attentate, mit ihm hatte ich den Mast in der Feuernacht gesprengt. Er hatte auch diesmal genauestens von unserem Plan gewusst, auch dass die Ladung um 6 Uhr früh explodieren würde. Trotzdem saß er, wie wir später bestätigt bekamen, seelenruhig neben dem Kamin, wo Brigadier Belpassi ihn verhörte. Dieser bemerkte nichts. Wäre die Ladung nicht im oberen Stockwerk hängen geblieben, hätte es Franz Ebner und Sepp Laner mit all den anderen Anwesenden zerrissen. (…) Zum Glück hatte es die Panne mit dem Kamin gegeben…“
Die Puschtra Buibm
edition AROB
In diesem Buch schildert Siegfried Steger den Kampf der „Puschtra Buibm“ gegen den Staat Italien, schonungslos und ohne Beschönigung, eine atemberaubende Geschichte, die sich wie ein Roman liest, aber Wirklichkeit ist: von 1961 bis 1967 hält die Kampfgruppe ihren Guerillakampf durch, kann sich trotz Rasterfahndungen und militärischem Großaufgebot immer wieder der Verhaftung entziehen, versteckt sich über Wochen in Erd- und Felsbunkern, schlägt wieder zu und flieht zurück über die Berge.
Mit einem Vorwort von Hans Karl Peterlini.
ISBN 978-88-88396-16-3
274 Seiten
Preis Italien: Euro 26,90
Preis Ausland (D-A-CH): Euro 27,90
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